„Die Poesie ist kein braves Kind“, heisst eines der Gedichte: „El nu fa per cumond“ („Sie gehorcht nicht“). Darin liegt gerade ihre Kraft und die Herausforderung an die Dichterin. Sie liebt die „fremde“ Sprache, die „auch meine Sprache“ ist, selbst wenn sie sie „schlecht spreche“. Diesen Topos wiederholt Angelika Overath immer wieder, wie um sich selbst dieses Vertrauen stets von neuem zu bestätigen.
Über die lokale Sprache erhält auch die Engadiner Topographie eine besondere Aufmerksamkeit: der Schnee (vor allem), die Berge, der hohe Himmel. In einfachen, hingetupften Bildern fängt Angelika Overath den jahreszeitlichen Wandel und all die täglichen Aufgaben im Haus ein. Das lyrische Ich wird ob der bergigen Landschaft mitunter seekrank: „eine Matrosin der Sehnsucht“, oder unnachahmlich in Vallader: „üna matrosa da l'increschantüm“. In diesem Bild zeigt sich die Autorin als Geistesverwandte des Engadiner Dichters Dumenic Andry, der in seinen Gedichten den Bergen immer wieder das Meer und sich als Matrosen entgegenhält. Und so lugt die weite Welt auch bei Angelika Overath durch die Hintertüre herein. Schon unter den romanischen Gedichten taucht ein „Istanbuler Rondo“ auf, das auf einen Aufenthalt am Bosporus hinweist, und auf Overaths letzten Roman Ein Winter in Istanbul. Dies bekräftigend hat sie ihrem Band dreizehn „Istanbuler Elegien“ angefügt, in welchen sich der Himmel weitet. Diese Weitung bezieht sich auch auf die Form. Hier ungeteilt in ihrer vertrauten Sprache, beschreiben diese Elegien komplexere lyrische Strukturen und verraten so ein feineres sprachliches Raffinement. Gerade vor diesem Hintergrund aber beweist die zweisprachige Zwiesprache in den Vallader-deutschen Gedichten ihre schöne zarte Stimmigkeit.
(Beat Mazenauer)
Telegramme Verlag, Zürich 2022
ISBN: 978-3-907198-58-2
In der sterilen Transithalle eines Flughafens warten Reisende auf ihren Anschluss. Unter ihnen ist E…